(Bei den nachfolgenden Ausführungen gehe ich von zwei gesunden, "normalen" erwachsenen Menschen in einer Ehe oder Partnerschaft aus. Bei Beziehungen, in denen ein Partner z. B. erkrankt oder behindert ist, kann die Sachlage deutlich anders liegen!)
Häufig höre ich von Klienten den sorgenvollen Satz: "Aber wenn ich jetzt gehe, das ist doch egoistisch, ich denke doch nur an mich. Was wird dann aus ihm/ihr?"
Zu allererst: er - oder sie - ist ebenso erwachsen wie Sie und hat 24 Stunden Zeit, sich um sein bzw. ihr Leben selbst zu kümmern. Kehren wir noch einmal zur Transaktionsanalyse zurück. Wer spricht da? Ein Eltern-Ich, das dem anderen signalisiert: "Ich traue Dir nicht zu, dass Du Dich um Dich selbst kümmern kannst. Lass mich das lieber machen!" Damit schieben wir den anderen ins Kind-Ich, wir übernehmen die Entscheidungsgewalt des anderen, nehmen ihm seine Eigenverantwortung - und wundern uns auch noch, dass von dem anderen nichts (mehr) kommt, er oder sie sich "unverantwortlich" verhält. Würden SIE sich das gefallen lassen? ist das eine ausgewogene, freie Partnerschaft auf Augenhöhe, bei dem ich dem anderen das Recht zugestehe, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten? Sicher nicht und bereits ein deutliches Zeichen, warum eine Partnerschaft in Schieflage geraten kann.
Freiheit und Selbstliebe in einer Beziehung bedeuten nicht: "Hey, ich habe einen Freibrief, ich kann tun und lassen, was ich will, muss auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen!" sondern die Übernahme von Verantwortung für das eigene Denken, Fühlen, Handeln, Kommunizieren. Wenn ich etwas will, hat das Auswirkungen auf der anderen Seite und es geht darum, einen Weg zu finden, Dinge zu tun, mit denen beide Seiten möglichst gut leben können. Dann finde ich meine Freiheit in einer Beziehung, ohne mich dabei zu vergessen oder zu verbiegen.
Als ich 16 war, lernte ich meinen ersten Mann kennen. Mit 21 heiratete ich, mit 28 zog ich aus. Mein Mann war meistens ein sehr lieber Mensch, gut zu Tieren, kreativ und handwerklich sehr begabt. Ich habe sehr viel von ihm gelernt. Was mir schwer zu schaffen machte, war seine ständige Unordnung und seine cholerischen Ausbrüche, bei denen er bei seiner Wortwahl mir gegenüber nicht gerade zimperlich war. Jeder Ausbruch hinterließ Wunden in mir, ebenso wie seine Spielsucht und mein Gefühl, für 90 % unserer Lebensaufgaben alleine zuständig zu sein. Mit 28 hielt ich es nicht mehr aus. Ich wollte keine zwei Leben mehr (er-)tragen und trennte mich. Doch unsere Freundschaft ging tief. Erst nach acht (!) weiteren Jahren ließen wir uns scheiden, um beide erneut zu heiraten. Heute ist er glücklich mit einer Frau verheiratet, mit der die "Schnittmenge" deutlich größer ist als mit mir. Unsere Freundschaft (zu viert) besteht nach wie vor.
Mein zweiter Mann war das Gegenteil. Überhaupt nicht cholerisch, die Ruhe selbst. Er sah gut aus, war liebevoll, zärtlich, intelligent und kochte gerne. Ein echter Genussmensch. Nach unserer Eheschließung wurde allerdings aus anfänglicher "Kreativität" und Einsatzfreude im Haushalt immer größere Bequemlichkeit, die zu 30 kg Gewichtszunahme bei ihm führte (und dazu, dass ich ihn zu Hause nur noch in Jogginghosen erlebte, weil die nicht einschnürten...). Nachdem ich ihn ermuntert hatte, etwas für seine Karriere zu tun und er die Abendschule besuchte, blieben 80 % der gemeinsamen Aufgaben an mir hängen und mein Mann lenkte sich nach dem anstrengenden Arbeits- und Schulalltag täglich mit der Playstation ab. Aus "die Ruhe selbst" war minimalste Kommunikation geworden und ich litt erbärmlich unter diesem Schweigen.
Eines nachts wachte ich auf und spürte, dass ich zu zweit einsamer war als ich es alleine jemals gewesen war oder würde sein können. Ihm mitzuteilen, dass ich gehen würde, war einer der schwersten Momente meines Lebens. Er war lieb, treu, er respektierte mich, es hätte doch alles so weitergehen können! Eben nicht. Ich bekam in den Monaten danach so viele Briefe und SMS, so viel Kommunikation von ihm wie in sechs Jahren davor nicht. Ich hielt seinen Schmerz, seine Wut, seine Trauer aus, doch ich spürte, es gab keinen Weg zurück. Heute ist mein zweiter Mann glücklich verheiratet. Mit mir wollte er keine Kinder, mit seiner zweiten Frau tut er gerade alles, um "schwanger" zu werden. Erstaunlich, oder?
War ich "egoistisch"? Nein! Zweimal bin ich aus Liebe gegangen, nicht aus Hass. Ich habe MICH blockiert und ich habe den anderen unglücklich gemacht oder überfordert, weil ich etwas brauchte, was mir der andere nicht geben konnte. Die Übergangszeiten bei Trennungen sind nie schön, aber wertvoll und wichtig. Ich habe viel über mich gelernt, was ich will, was ich brauche, was mir wichtig ist - jedoch auch, was ein anderer braucht und was ich ihm geben oder eben nicht geben kann.
Heute lebe ich die beste Partnerschaft meines Lebens, in der ich gesehen werde (weil ich mich sehe), in der ich geliebt werde um meinetwillen (weil ich mich liebe), in der die erste Frage von beiden Seiten lautet: "Was kann ich für Dich tun?". Hier darf ich geben und mich einbringen, ohne mich übernehmen zu müssen, denn ich bekomme im gleichen Maße zurück. Hier bin ich kein "fürsorgliches oder dominantes Eltern-Ich" mehr, das meint, für den anderen alles regeln zu müssen. Hier bin ich im "Erwachsenen-Ich" - und der andere auch. Ich habe zwei große Anläufe gebraucht, um aus den alten, anerzogenen Mustern aussteigen zu können. Und ich habe mich extrem schlecht dabei gefühlt, den anderen "im Stich" zu lassen. Heute weiß ich, es war das Beste, was allen Beteiligten passieren konnte.
Mein 2. Mann und seine Frau haben mittlerweile ein kleines Mädchen direkt eine Woche nach ihrer Geburt adoptiert, da es mit dem eigenen Kind doch nicht klappen wollte. Nun sind sie glückliche Eltern und haben ihren Weg gefunden. Schön, oder?